Herkunft der CTI ist die Luftfahrtpsychology

Critical Incident Technik

Die Critical Incident Technique ist eine Forschungsmethode, die in den 1940er und 1950er Jahren von John C. Flanagan zur Anwendung in der Luftfahrtpsychologie (Aviation Psychology) zur Auswahl on Piloten entwickelt wurde. Die Artikel von Flanagan aus dieser Zeit gehören zu den am häufigsten zitierten im Bereich der Wirtschaftspsychologie, da Flanagan eine Methode der Anforderungsanalyse beschriebt, die sowohl wissenschaftlich fundiert als auch praktisch relevant ist.

Die Grundidee findet auch heute noch Anwendung, wenn auch abgeänderter Form: die kritischen Arbeits-Ereignisse identifizieren und gemeinsam mit den handelnden Personen deren Verhaltensweisen in diesen Situationen genau zu analysieren um daraus Anforderungen für diese Position abzuleiten.

Inhaltsverzeichnis

Definition: Critical Incident Technique (CIT)?

Im Kontext der Personalauswahl ist die Technik der kritischen Ereignisse (Critical Incident Technique – CIT) eine Methode der Anforderungsanalyse um die erfolgskritischen Anforderungen an Mitarbeiter zu erfassen. Diese Ereignisse können sowohl retrospektiv (auf die Vergangenheit gerichtet ) als auch prospektiv orientiert sein – es können also die Tätigkeiten, Fähigkeiten, Fertigkeiten identifiziert werden, die dazu beigetragen haben, ein kritisches Ereignis erfolgreich bewältigt zu haben oder aber was helfen wird, zukünftige kritische Ereignisse zu bewältigen.

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Was sind „kritische Ereignisse"?

Kritische Ereignisse können negativ wie positiv sein – ob ein Ereignis „kritisch” ist oder nicht, beurteilen diejenigen, die betrifft – im Kontext der Personalauswahl also zumeist Vorgesetzte und Führungskräfte oder Fachexperten.

Selbst kleine Ereignisse können – im negative oder positiven Sinn – „kritisch” sein. Eine unscheinbare, achtlos abgegebene Pressemitteilung kann den Aktienkurs in den Keller ziehen; eine kleine konstruktive Veränderung an einem Auto kann über den Markterfolg (Bestehen oder Nicht-Bestehen eines Crash-Tests) entscheiden.

Die Methode nach John C. Flanagan

Flanagan beschrieb die fünf Schritte, in denen die CIT durchgeführt wird, wie folgt:

  1. Ermittlung der allgemeinen Ziele der zu untersuchenden Tätigkeit
    Die CIT von John C. Flanagan und seinen Kollegen wurde in erster Linie als Instrument zur Erstellung einer funktionalen Tätigkeitsbeschreibung verwendet. Um eine CIT durchzuführen, muss ein Außenstehender zuerst verstehen, was das Ziel der Aufgabe/Tätigkeit ist.
    Das Verständnis des allgemeinen Ziels der Tätigkeit soll zwei Fragen beantworten:
    (1) Was ist das Ziel der Tätigkeit; und
    (2) was soll die Person erreichen, die die Tätigkeit ausübt?
    Nach Flanagan kann das Ziel der Tätigkeit ermittelt werden, indem man Vorgesetzte befragt, die als Experten auf dem untersuchten Gebiet gelten, oder indem man die Personen befragt, die die Arbeit tatsächlich ausführen.

  2. Planung der Vorgehensweise
    Der zweite Schritt des CIT besteht in der Festlegung von Plänen und Spezifikationen.
    Flanagan plädierte (1954) dafür, den Beobachtern (d.h. den Forschern oder Psychologen) genaue und spezifische Anweisungen zu geben – im Wesentlichen, um sicherzustellen, dass alle denselben Regeln folgen. Flanagan vertrat die Ansicht, dass im Allgemeinen vier Spezifikationen festgelegt werden müssen:
    (1) Definition der Arten von Situationen, die beobachtet/erfasst werden sollen;
    (2) Bestimmung der Relevanz der Situationen für das allgemeine Ziel;
    (3) Verständnis des Ausmaßes der Auswirkungen des Vorfalls auf das allgemeine Ziel; und
    (4) Entscheidung darüber, wer die Beobachtungen/Datenerfassung durchführt

  3. Erhebung der Daten
    Der dritte Schritt der CIT ist die Datenerhebung. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen, z. B. indem fachkundige Beobachter die Menschen bei der Durchführung der betreffenden Aufgabe beobachten oder indem die Personen aus dem Gedächtnis über extreme Vorfälle in der Vergangenheit berichten.
    Obwohl Flanagan die Datenerhebung durch fachkundige Beobachter bevorzugte, war er auch pragmatisch genug, um zu erkennen, dass dies nicht immer möglich war. Er verbrachte einige Zeit damit, Beweise für die Genauigkeit der erinnerten Ereignisse zu sammeln, und schlug vor, dass die Genauigkeit aus dem Grad der vollständigen, präzisen Details, die der Teilnehmer angibt, abgeleitet werden kann.
    Flanagan schlug vier Möglichkeiten vor, um erinnerte Daten in Form von kritischen Ereignissen zu erhalten:
    (1) Einzelinterviews,
    (2) Gruppeninterviews,
    (3) Fragebögen und
    (4) Aufzeichnungsformulare, in denen die Einzelheiten der Vorfälle entweder in narrativer Form oder durch Ankreuzen einer Aktivität auf einer zuvor erstellten Übersicht der wahrscheinlichsten zu beobachtenden Aktivitäten festgehalten werden.

  4. Analyse der Daten
    Der vierte Schritt umfasst die Analyse der Daten. Viele Forscher (Flanagan, 1954; Oaklief, 1976; Woolsey, 1986) halten dies für den wichtigsten und schwierigsten Schritt im CIT-Prozess, da es bei mehreren hundert kritischen Ereignissen schwierig sein kann, mit ihnen zu arbeiten und sie zu klassifizieren, und es im Allgemeinen keinen richtigen Weg gibt, die Aktivität, die Erfahrung oder das Konstrukt zu beschreiben.
    In dieser Phase geht es darum, ein Kategorisierungsschema zu erstellen, das die Daten auf nützliche Weise zusammenfasst und beschreibt, während gleichzeitig „so wenig wie möglich von ihrer Vollständigkeit, Spezifität und Gültigkeit geopfert wird“ (Flanagan, 1954: 344).
    Dazu müssen drei Hauptphasen durchlaufen werden:
    (1) Bestimmung des Bezugsrahmens, der sich im Allgemeinen aus dem Verwendungszweck der Daten ergibt (z. B. Personalauswahl);
    (2) Formulierung der Kategorien (ein induktiver Prozess, der Einsicht, Erfahrung und Urteilsvermögen erfordert);
    (3) Bestimmung des Grades an Spezifität oder Allgemeinheit, der bei der Berichterstattung über die Daten verwendet werden soll (z. B. einige allgemeine Verhaltensweisen oder mehrere Dutzend ganz spezifische Verhaltensweisen). Praktische Erwägungen bestimmen im Allgemeinen den Grad der Spezifität oder der Allgemeinheit, der zu verwenden ist.

  5. Interpretation der Daten und Berichterstattung über die Ergebnisse
    Der fünfte und letzte Schritt besteht in der Interpretation und Berichterstattung der Daten. Flanagan (1954) schlug den Forschern vor, zunächst die vorangegangenen vier Schritte zu untersuchen, um festzustellen, welche Verzerrungen durch die verwendeten Verfahren und die getroffenen Entscheidungen entstanden sind. Er sprach sich dafür aus, die Grenzen zu erörtern, die Art der Beurteilungen explizit zu machen und den Wert der Ergebnisse im Abschlussbericht zu betonen. Flanagan (1954: 355) stellte außerdem fest: „Der Forscher ist dafür verantwortlich, nicht nur die Grenzen, sondern auch den Grad der Glaubwürdigkeit und den Wert der erzielten Endergebnisse aufzuzeigen“.

Was ist das Ziel der Critical Incident Technik?

Das Ziel der Critical Incident Technique ist es, möglichst genau Beschreibungen der kritischen „Incidents” (Ereignisse) für bestimmte Aufgaben zu erhalten und diese Situationen genau beschreiben zu lassen: welches Verhalten führt zum Erfolg, was zum Misserfolg? Was erhöht die Wahrscheinlichkeit von Erfolg und Misserfolg? Was sind die Konsequenzen für die Organisation?

Während Flanagan die Methode für sehr homogene Gruppen (z.B. Piloten im Zweiten Weltkrieg) entwickelt hat, wird sie heute auch für einzelne Positionen eingesetzt, in denen es also nicht hunderte von kritischen Ereignissen gibt, sondern üblicherweise nur eine Handvoll.

Praxisbeispiel Critical Incident Technik – das Strategiebriefing

Während Flanagan die CIT in erster Linie als Forschungsmethode formuliert hat, wird sie heute in der Praxis der Eignungsdiagnostik zumeist im Rahmen der Anforderungsanalyse eingesetzt. Wir setzen die CIT im Rahmen von Einzel-Assessments und Management-Appraisals/Management Audits bei Briefings mit Vorgesetzten (i.d.R. Vorstände) ein, um genau zu verstehen, was die Anforderungen an einen Kandidaten für eine zu besetzende Position im Management ist. Wir nennen diese Form des Briefing-Gesprächs „Strategiebriefing„:

  1. Im ersten Schritt sprechen wir nicht über die konkrete Position, sondern über die generelle Strategie des Unternehmens. Wo will das Unternehmen hin? Was sind die strategischen Ziele und Milestones?

  2. Dann brechen wir strategischen Ziele auf den Bereich der zu besetzenden Stelle hinunter: Was heißt die Strategie für diesen Bereich? Was sind dort die strategischen Ziele?

  3. Dann wird die Strategie in Maßnahmen, Tätigkeiten und Ereignisse heruntergebrochen – was muss passieren, damit die Ziele erreicht werden?

  4. Die Ziele werden dann operationalisiert: woran kann man erkennen, ob die Person, die die Stelle innehat, einen guten Job gemacht hat? Was muss in einem (zwei, drei…) Jahr passiert sein, damit man den Job als „erfolgreich“ bezeichnen kann? Was darf auf keinen Fall passieren?

  5. Die so erhobenen Informationen aus einer Situation werden von uns Psychologen dann in konkrete Anforderungen übersetzt. So kommen wir dann zu einer Aussage, ob der Kandidat/die Kandidatin in der zur Diskussion stehenden Position erfolgreich sein wird oder nicht.

Das Vorgehen soll an einem konkreten Beispiel erläutert werden:
Es geht in einem Assessment um die Besetzung des Position „General Manager Polen” eines Versicherungsunternehmens. Das strategische Ziel des Unternehmens ist „profitables Wachstum”. Dazu trägt der polnische Markt bei, indem die Vertriebsaktivitäten erhöht werden und gleichzeitig die internen Prozesse verschlankt und optimiert werden.
Die erfolgskritischen Ergebnisse sind eine Steigerung des Abschlusszahlen um 15% in einem Jahr und eine Verbesserung der Kostenquote um 5%. Für die Position bedeutet das folgende Verhaltensbeschreibungen:

  • Einstellen neuer Vertriebsmitarbeiter, die die Qualität der Vertriebsmannschaft erhöhen

  • Motivation der bestehenden Mannschaft, die in den letzten Jahren gar nicht geführt wurden

  • Einführung einer Lean-Kultur im Innendienst, kontinuierliche Verbesserung von Prozessen

  • Starker Fokus auf Zahlen, Führen mit Kennzahlen

Diese kritischen Anforderungen werden dann von uns in psychologische Dimensionen (KSAOs: Knowledge, Skills, Abilities, Other) übersetzt, also die kognitiven, sozialen und motivationalen personalen Eigenschaften, die man benötigt um die gewünschten Ergebnisse zu erreichen.

Fazit

Die Critical Incident Technique stellte im Rahmen der Management Diagnostik eine bewährte Methode dar, um die erfolgskritischen Kriterien einer Aufgabe zu identifizieren. Die Analyse mit Hilfe der CIT hilft dem Entscheider und dem Eignungsdiagnostiker, die notwendigen Erfahrungen, Eigenschaften und Fähigkeiten zu bestimmen, die für die Zielposition relevant sind.

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