Derailment Risks bei Managern einschätzen
Jedes Unternehmen hat schon Manager erlebt, die sich plötzlich irrational verhalten, sodass sie in ihrer Aufgabe scheitern. Dieses „Manager Derailment” will man verhindern, indem man es frühzeitig erkennt – z. B. mithilfe von psychologischen Tests und Fragebögen. Diese sind jedoch nicht unumstritten.
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Management Derailment Risiken rechtzeitig zu erkennen, ist nicht einfach. Häufig werden dazu psychologische Fragebögen eingesetzt, der bekannteste ist der Hogan Development Survey (HDS) des Testanbieters Hogan Assessment. Dieser basiert auf der Annahme, dass manche Manager Persönlichkeitsstrukturen aufweisen, die denen von (psychiatrischen) Persönlichkeitsstörungen ähneln.
Dieser Ansatz ist jedoch umstritten, da sich schon die psychiatrischen Kategorien der Persönlichkeitsstörungen, auf denen der HDS basiert, als wenig valide erwiesen haben.
Ein alternativer Ansatz ist die Überlegung, dass die (positiven) Fähigkeiten und Stärken von Managern kritisch werden können, wenn das entsprechende Gegengewicht (andere positive Eigenschaften) fehlt.
Inhaltsverzeichnis
Wie kann man das Risiko von Manager Derailment erkennen?
Seit den 1990er Jahren beschäftigt sich die Persönlichkeits- und diagnostische Psychologie mit dem Thema „Derailment“. Wörtlich heißt Derailment „entgleisen“ – gemeint ist das Phänomen, dass bis dahin erfolgreiche Manager an einem bestimmten Punkt ihrer Karriere plötzlich aufhören, erfolgreich zu sein und Verhaltensweisen aufweisen, die für das Unternehmen und seine Mitarbeitenden extrem schädlich sind.
Das kann sich beispielsweise in folgenden Verhaltensweisen zeigen:
- Extrem dominantes Verhalten, keine andere Meinung gelten lassen, schikanieren der Mitarbeitenden.
- Fokussierung auf unwichtige Details, Micro-Management (d. h. enge Kontrolle der Mitarbeitenden), dabei die wichtigen Themen aus dem Blick verlieren.
- Waghalsiges, hasardeurhaftes Verhalten (unüberlegt und risikoreich), Überschätzung der eigenen Fähigkeiten.
- Rückzug von allen persönlichen Kontakten, im Büro verstecken.
- Gockelhafte Selbstdarstellung, permanente Demonstration der vermeintlichen eigenen Überlegenheit.
- Extreme Unsicherheit, Zweifel an den eigenen Fähigkeiten, Lähmung durch Angst.
Unternehmen und Psychologen versuchen seitdem herauszufinden, wie man Derailment-Risiken rechtzeitig erkennen kann und Manager*innen identifizieren kann, die Gefahr laufen, „aus dem Gleis zu springen“.
Hogan HDS
Einer der bekanntesten Fragebögen zur Identifikation von Derailment-Risiken ist der von Robert Hogan und seiner Consulting-Firma entwickelte Derailment Fragebogen „Hogan HDS“.
„HDS“ steht für „Hogan Development Survey“. Es wird also im Namen vertuscht, dass es eigentlich darum geht, Risiken zu erkennen.
Der HDS ist Teil der Hogan Assessments Testbatterie und basiert konzeptionell auf der Kategorisierung der Persönlichkeitsstörungen aus dem DSM-IV (einem amerikanischen Manual zur Diagnose psychiatrischer Störungen).
Wohlgemerkt: der HDS ist kein Fragebogen, um klinische (d. h. psychiatrische) Persönlichkeitsstörungen zu diagnostizieren, aber die Idee ist, dass auch „gesunde“ Menschen gewisse Tendenzen dieser Persönlichkeitsstörungen aufweisen können, die dann zu dysfunktionalem Verhalten und bei Managern zu Derailment führen/führen können.
Der DSM-IV nennt 11 Persönlichkeitsstörungen, die im HDS dann als manager-typische dysfunktionale Verhaltensweisen/Persönlichkeitsmerkmal beschrieben werden:
Kritik am Hogan Development Survey Fragbogen (HDS)
DSM-IV - Psychiatrische Kategorien von Persönlichkeitsstörungen
Dass die Kategorien des HDS auf einer Kategorisierung von Persönlichkeitsstörungen basieren, ist ein wesentlicher Kritikpunkt an dem Verfahren von Hogan: denn die im DSM-IV beschriebenen Persönlichkeitsstörungen haben sich in der Praxis als keine hilfreiche Kategorisierung erwiesen, kurz gesagt, lassen sich diese Störungen in dieser Form in der Praxis nicht wiederfinden. Die Grundlage des HDS ist also nicht mehr state-of-the-art.
DSM-V Eine neue Systematik der Persönlichkeitsstörungen
Statt der im DSM-IV beschriebenen Störungen wird zur Kategorisierung der Persönlichkeitsstörungen in der neuesten Auflage des DSM, dem DSM-V folgende Kategorisierung verwendet:
CAT-PD - evidenzbasierte Kategorien der Persönlichkeitsstörungen
Aber auch diese Kategorisierung der psychiatrischen Persönlichkeitsstörungen ist in der Wissenschaft umstritten. Ein relativ neuer (Simmons, 2011) Vorschlag kommt aufgrund statistischer Analysen zu folgenden sechs Faktoren:
Sind psychiatrische Diagnosen eine hilfreiche Basis für die Beschreibung von Managern?
Zudem ist es bei HDS methodisch und ethisch fragwürdig, klinische/psychiatrische Kategorien zu verwenden, um „normalen“ Menschen (denn Manager sind in den meisten Fällen frei von psychopathologischen Auffälligkeiten) Risiken anhand psychiatrischer Kategorien zu attestieren.
Zu viel einer guten Sache kann schlecht sein – das Wertequadrat
Ringelband & Hossiep haben einen anderen Erklärungsansatz für das Derailment im Management gewählt. Ihren Daten zufolge unterscheiden sich Manager in ihrer Persönlichkeit im Schnitt von anderen Menschen: sie sind durchsetzungsstärker, leistungsorientierter, risikobereiter und können sich besser selbst darstellen.
All diese – für sich genommen – positiven Eigenschaften bergen allerdings in sich die Gefahr, dysfunktional zu werden, wenn der entsprechende Ausgleich fehlt. Auf Basis des Wertequadrats (nach Schulz von Thun) beschreiben sie die Persönlichkeit von Manager*innen wie folgt:
Fehlender Ausgleich zu Stärken
In der Auswahl von Manager*innen geht es also weniger darum, diejenigen herauszufiltern, die extrem durchsetzungsstark, ehrgeizig, stabil, selbstbewusst und risikobereit sind, sondern durch Coaching und Feedback die entsprechenden „Schwester-Tugenden“ (Toleranz, Mitarbeiterorientierung, Selbstkritik, Vorsicht) zu fördern.
Extreme können dysfunktional sein
Dieser Ansatz passt auch zu den aktuellen empirischen Befunden der Persönlichkeits- und klinischen Psychologie, dass Persönlichkeitsstörungen als Extremausprägungen innerhalb des Big-5 Persönlichkeitsmodells beschrieben werden können.
Fragebögen sind kein sinnvolles Instrument, um Derailment-Risiken zu identifizieren
Ein weiterer aktueller Befund stellt ebenfalls die Validität von Derailment-Fragbögen wie dem HDS infrage: es zeigt sich, dass Selbsteinschätzungen einem starken „Halo-Faktor“ unterliegen – dass manche Menschen sich also systematisch (aber weitgehend unbewusst) in Fragebögen positiver darstellen als es der Wirklichkeit entspricht.
Dieser Halo-Faktor verschwindet, sobald man Fremdeinschätzungen in die Einschätzung einbezieht. Von daher ist fraglich, ob Selbsteinschätzungen überhaupt ein valides Instrument sind, um Derailment-Risiken zu identifizieren.
Fazit
Derailment-Risiken von Managern frühzeitig zu identifizieren, ist nicht einfach. Fragebögen wie der HDS sind vermutlich kein geeignetes Instrument dafür. Eher muss man in einer ganzheitlichen Betrachtung (etwa in einem Management Assessment) die gesamte Persönlichkeit eines Managers betrachten und einschätzen, inwieweit die positiven Fähigkeiten wie Durchsetzungsvermögen, Selbstvertrauen, Ehrgeiz, Emotionale Stabilität und Risikobereitschaft durch entsprechende „Schwester-Tugenden” (Toleranz, Mitarbeiterorientierung, Selbstkritik und Demut sowie Risikobewusstsein) ergänzt werden.