Beitragsbild Strukturiertes Interview Management Diagnostik

strukturiertes Interview im Management

Bei der Einstellung (oder Beförderung) von Bewerbern im Management wird fast immer ein Interview als Teil des Auswahlprozesses durchgeführt. Grundsätzlich unterscheidet man drei Arten von Bewerbungsgesprächen: strukturierte Interviews, semi-strukturierte Interviews und unstrukturierte Interviews.

Auch wenn semi- und unstrukturierte Interviews neuen Untersuchungen zufolge eine hohe diagnostische Qualität (sprich: Validität) haben können, sind strukturierte Interviews doch in der Praxis die „sichere Lösung” für Führungskräfte und Personaler.

Inhaltsverzeichnis

Sie haben nicht viel Zeit zu lesen? Dann lesen Sie diese Zusammenfassung:

Es gibt verschiedene Arten von Interviews im Bewerbungsprozess, die mehr oder minder strukturiert sind. Im strukturierten Interview sind sowohl die Fragen und deren Reihenfolge als auch die Bewertung der Antworten fest vorgegeben und damit weitgehend unabhängig von Subjektivität und den Fähigkeiten des Interviewers.

Mithilfe einiger praktischer Tipps kann jeder Personaler ein Konzept für strukturierte Interviews anfertigen.

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Unterschied strukturiertes Interview und freies Interview

Grundsätzlich kann man Interviews nach dem Grad der Strukturiertheit unterteilen, d. h. wie viel des Gesprächs ist vorgegeben und wie viel kann situativ durch den Interviewer gesteuert werden.

Das unstrukturierte Interview

Das gewöhnliche Bewerbungsgespräch ist zumeist unstrukturiert, es handelt sich um das sogenannte „freie Interview”.

Zwar haben erfahrene Interviewer sich meist einen kleinen Fragenkatalog zurechtgelegt (z.B.: „Erzählen Sie einmal etwas über sich!„, „Was sind Ihre Hobbys?”, „Was ist für Sie Führung?”, „Warum möchten Sie in unserem Unternehmen arbeiten?“ etc.), aber nicht allen Bewerbern werden alle Fragen gestellt, die Reihenfolge der Fragen variiert und die Bewertung der Antworten erfolgt aus dem Bauch heraus.

Auch ein unstrukturiertes Einstellungsgespräch kann wertvolle Einsichten in die Qualifikationen und Persönlichkeit des Bewerbers geben – der Grad der Erkenntnisse hängt aber stark vom Geschick und den Fähigkeiten des Personalers bzw. der Führungskraft ab, die das Interview führt.

Das semi-strukturierte Interview

Das semi-strukturierte Interview basiert zumeist auf einem Interview-Leitfaden, dem der Interviewer folgt. Es gibt bestimmte Standardfragen, aber Nachfragen sind möglich und empfohlen. Die Antworten des Bewerbers werden meist notiert, aber nicht direkt ausgewertet, sondern erst im Gesamtkontext des Interviews.

Semi-strukturierte Interviews können ebenfalls sehr effektiv sein – wenn die richtigen Fragen gestellt werden und, noch wichtiger, an den entscheidenden Stellen nachgefragt wird. Die Qualität des Interviews hängt hier ebenfalls stark von den Gesprächsfähigkeiten des Interviewers ab.

Das strukturierte Interview

Beim strukturierten Interview sind die Fragen fest vorgegeben, jeder Bewerber oder Kandidat erhält dieselben Fragen, Nachfragen werden in der Regel nicht gestellt. Die Bewertung der Antworten erfolgt anhand eines vorgegebenen Auswertungsschemas (unten ein Beispiel zum Thema „Belastbarkeit”), mit dem die Kompetenzen des Bewerbers eingeschätzt werden.

Andere Formen von Interviews

Behavioural Interview

Das Behavioural Interview (deutsch: Verhaltensbasiertes Interview) fokussierte sich stark darauf, den Bewerber sein Verhalten in bestimmten Situationen in der Vergangenheit beschreiben zu lassen. Das basiert auf dem Grundsatz „Past behaviour is the best predictor for future behaviour” (Vergangenes Verhalten ist die beste Vorhersage für zukünftiges Verhalten). Das Verhaltensbasierte Interview sollte auch strukturiert (d.h. kriterienorientiert) ausgewertet werden.

Motivierendes Interview

Diese Art der Interviewführung kommt eigentlich aus dem sozialen und klinischen Bereich. Durch eine empathische Gesprächsführung wird der Bewerber zur Selbstreflexion (und teilweise sogar zu neuen Einsichten) geführt. Für ein Vorstellungsgespräch ist diese Form der Interviewführung weniger geeignet, eher für entwicklungsorientierte Gespräche.

Situatives Interview

Im situativen Interview werden dem Bewerber Situationen geschildert, die auf ihn in der neuen Aufgabe zukommen können. Diese Situationen wurden zumeist mithilfe der Critical Incident Technique ermittelt. Die Antworten des Kandidaten werden anhand vorgegebener Kompetenzen bewertet. Die Bewertung der Antwortalternativen wurde von Experten (Subject Matter Experts) vorgenommen – ähnlich der Auswertung im strukturierten Interview. Unten ein Beispiel aus einem Interview für den Geschäftsführer eines großen Einzelhandelsgeschäfts.

Stressinterview

Im Stressinterview wird der Kandidat gezielt unter Druck gesetzt: das fängt bei der Umgebung an (unbequemer Sitz, tiefer als der Interviewer; Blick ins Licht bzw. dunkler Raum, u. U. laute Umgebung) und die Fragen zielen bewusst darauf ab, den Bewerber zu verunsichern („Ihr Lebenslauf ist doch von vorn bis hinten erfunden, oder?!“). Der Stil des Interviews ist darauf ausgelegt, den Bewerber zu verunsichern, er wird häufig unterbrochen, ihm werden negative Dinge unterstellt und provokante Fragen gestellt.

Sollte das Verhalten unter Stress die wichtigste Anforderung an einen Job sein, dann mag ein solches Interview gerechtfertigt sein. Aber da nur die wenigsten Manager im Kampfeinsatz tätig und gefährdet sind, unter Folter gesetzt zu werden, sollten Stressinterviews bei Managern nicht eingesetzt werden. Abgesehen davon, dass diese Art von Interviewführung unethisch und illegal (AGG!) ist, erfährt man diagnostisch wenig über den Interviewten – außer wie er unter starkem Stress reagiert.

Biographisches Interview

Ein Biographisches Interview gehört zu den semi-strukturierten Interviews. Es gibt eine grobe Struktur – das Gespräch folgt der Biographie des Bewerbers als rotem Faden. Die Themen, die dann im Interview besprochen werden, sind nicht von vornherein festgelegt, sondern ergeben sich aus den Antworten des Kandidaten.

Die Qualität des Biographischen Interviews als Auswahlverfahren hängt stark von den empathischen Fähigkeiten des Interviewers ab. Dieser muss ein Gespür dafür haben, an welchen Äußerungen des Bewerbers er anknüpft und nachfragt. Das Vorgehen und zahlreiche Beispiele für das gezielte Nachfragen finden sich in dem Buch von Werner Sarges zum Biographisch-Explorativen Interview (BEI).

Multimodales Interview MMI

Das MMI basiert auf einem Konzept von Heinz Schuler, besteht aus verschiedenen Teilen, teils unstrukturiert, teils strukturiert. Das MMI ist nachgewiesen ein recht valides Interviewkonzept, wenngleich die Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass es für manche Führungskräfte schon zu komplex ist.

Das MMI setzt sich aus acht Teilen zusammen: zuerst gibt es eine informelle Unterhaltung zum Aufwärmen des Bewerbers und dem Aufbau der Beziehung zum Interviewer.

Dann wird der Bewerber gebeten, sich und seinen Werdegang ca. 10 Minuten lang vorzustellen; dieser Teil wird später von den Interviewern anhand festgelegter Kriterien bewertet.

Darauf folgend werden einzelne Episoden und Erlebnisse aus der kurzen Selbstpräsentation vertieft, indem der Interviewer nachfragt. Dann folgen Fragen zum konkreten zukünftigen Aufgabenbereich der Führungskraft, gegebenenfalls auch fachliche Fragen.

Die Antworten werden anhand festgelegter Kriterien und Einschätzungsskalen bewertet. Im Anschluss werden dann Fragen aus dem Lebenslauf (ähnlich dem Behaviour Description Interview bdi) gestellt, die einen konkreten Bezug zur zukünftigen Aufgabe haben.

Zum Abschluss wird dem Bewerber eine realistische Beschreibung seiner zukünftigen Rolle und Aufgaben gegeben und ihm dann situative Fragen (s. oben) zu möglichen Szenarien seiner zukünftigen Aufgabe gestellt. Ganz zum Schluss beantworten die Interviewer dann Fragen des Bewerbers.

Wie man sieht, enthält das MMI verschiedene Formen von Interviewtechniken mit unterschiedlichem Strukturierungsgrad – von frei (Selbstdarstellung) bis strukturiert (situative Fragen).

Strukturiertes Interview - Vor- und Nachteile

Vorteile:

  • dadurch, dass jeder Bewerber dieselben Fragen in derselben Reihenfolge erhält, sind die Antworten (und die Bewertung der Antworten) vergleichbar

  • vorhandene Biases (bewusste und unbewusste Vorurteile) werden abgebaut, Suggestivfragen („Dann haben Sie sicher auch ein gutes Abi gemacht, oder?!”) vermieden

  • Bewertung erfolgt anhand festgelegter Kriterien und ist somit objektiv

  • auch unerfahrene Interviewer kommen zu einer professionellen Interviewführung

  • wissenschaftlich belegt ist eine zufriedenstellende Validität strukturierter Interviews

  • der für den Bewerber erkennbar strukturierte Ablauf des Gesprächs vermittelt den Eindruck, dass das Unternehmen an einer objektiven Auswertung interessiert ist und kann positiv (Employer Branding) wirken

  • auch wenn man anfangs einen gewissen Aufwand in die Erstellung eines Fragenkatalogs investieren muss, spart man auf lange Sicht Zeit und Geld, da Einstellungsgespräche kürzer und zielorientierter geführt werden können

Nachteile:

  • auch strukturierte Interviews können unergiebig sein, wenn die Interviewfragen nicht zielführend sind, z.B. nicht an den einzuschätzenden Kriterien orientiert sind

  • die fixe Struktur des Interviews erlaubt keine Nachfragen

  • das starre Abarbeiten eines Fragenkatalogs kann auf Kandidaten mechanisch und wenig motivierend wirken

  • Subjektivität und Vorurteile bei den Interviewern sind zwar weitgehend eliminiert, können jedoch noch durch Form (Tonfall und Betonung) der Fragen vermittelt werden

  • das relativ rasche Aufeinanderfolgen der Fragen lässt beim Bewerber keinen Gedanken- und Redefluss entstehen

Entwicklung und Einsatz eines strukturierten Interviews für Vorstellungsgespräche

Am Anfang der Entwicklung eines strukturierten Interviews steht die Anforderungsanalyse:

Welche Aufgaben kommen auf die Führungskräfte in der Rolle zu? Welche Kompetenzen sind dafür notwendig? Die Anforderungsanalyse basiert auf vorhandenen Dokumenten (etwa: Stellenbeschreibung) sowie auf Interviews mit Führungskräften, z.B. dem unmittelbaren Vorgesetzten.

Die daraus gewonnenen Erkenntnisse müssen dann in Interviewfragen umgesetzt werden:

Zu jeder Anforderung sollten drei bis fünf Fragen formuliert werden. Gleichzeitig sollte ein Schema zur Auswertung der Antworten entwickelt werden, mindestens drei Bewertungsstufen (nicht gut – gut – sehr gut) sollten beschrieben werden.

Es empfiehlt sich, das Interviewkonzept dann zuerst an einem „Probekandidaten” auszuprobieren (z.B. einem Mitarbeiter):

Hier merkt man dann gegebenenfalls, ob die Fragen verständlich sind und die Antworten mit dem Auswertungsschema ausgewertet werden können. Gleichzeitig werden die Interviewer in der Anwendung des Interviewleitfadens geschult.

In der Durchführung werden dann allen Bewerbern auf die Position die gleichen Fragen gestellt, die Antworten protokolliert und anhand des Auswertungsschemas bewertet:

Sofern man mehrere Kandidaten für eine Managementposition hat, können diese dann objektiv miteinander verglichen und der am besten geeignete Kandidat identifiziert werden.

Fragenkatalog: Was sind häufige Interviewfragen für das Management?

Wir haben für Sie einen Interview Fragenkatalog fürs Management als PDF vorbereitet.

Fazit

Strukturierte Interviews erlauben es, Bewerber für Managementaufgaben objektiv einzuschätzen – unabhängig von Vorurteilen, subjektiven Kriterien oder den Fähigkeiten zur Gesprächsführung der Interviewer. Zwar ist es aufwändig, den Fragenkatalog und die Auswertungskriterien zu erarbeiten, aber ein strukturiertes Interview kann helfen, Managementrollen bestmöglich zu besetzen.

FAQ

Was ist der Zweck eines Strukturierten Interviews im Management?

Die objektive Bewertung von Managern hinsichtlich ihrer Eignung und Passung für eine neue Aufgabe, unabhängig von der Person des Interviewers.

Auf welchen Karriereleveln werden Strukturierte Interviews eingesetzt?

Strukturierte Interviews können auf allen Hierarchieebenen eingesetzt werden – angefangen bei nicht-akademischen Facharbeitern bis zum Top-Management.

Wie lange dauert ein Strukturiertes Interview normalerweise?

Die Dauer des Interviews hängt von der Komplexität der Aufgabe ab. Während für einfache Aufgaben 30 Minuten reichen (weniger sollte es jedoch nicht sein), sollten strukturierte Interviews im Management mindestens 90 Minuten lang sein.

Wer wendet diese Interviewtechnik typischerweise an?

Ein Vorteil der strukturierten Interviews ist, dass man weder besondere Interviewtechniken beherrschen muss, noch psychologische Kenntnisse zur Bewertung von Bewerbern haben muss. Daher ist es außerhalb von professionellen Recruitern beliebt. Aber auch HR-Profis (Personaler) setzen gerne strukturierte Interviewarten ein um Objektivität und Vergleichbarkeit sicherzustellen.

Welche Interviewfragen sind unzulässig?

Wie üblich müssen die Interviewfragen AGG-konform sein. Das heißt, Fragen, die beim Bewerber den Eindruck einer Diskriminierung aufgrund seiner ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität aufkommen lassen, sind zu vermeiden.

Außerdem sollten die Fragen immer einen klaren Bezug zu den Bewertungskriterien habe.

Was sind sogenannte Stressfragen?

Das sind Fragen, die mit Unterstellungen arbeiten und den Interviewten in die (unangenehme) Situation bringen, sich zu rechtfertigen oder den Interviewer widerlegen zu müssen. Beispiele: „sie haben doch sicher schonmal etwas geklaut, oder?„, „sie sehen nicht so aus, als würden sie sich eine Führungsposition zutrauen – was sagen sie dazu?!“, „das Studium hat ja ganz schön lange gedauert, da haben sie wohl zu viel gefeiert in der Zeit, oder?!“
Zu erwähnen ist, dass solche Fragen nicht nur einen negativen Eindruck beim Bewerber hinterlassen und Anlass für Klagen hinsichtlich Verletzung des AGG zulassen würden, sondern auch diagnostisch wertlos sind.

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