Zwei Personen führen ein biographisches Interview und der Interviewer nimmt Notizen auf.

Biographisches Interview im Management

Biographisches Interview“ ist ein Oberbegriff für verschiedene Formen von Interviewtechniken. Die Gemeinsamkeit ist, dass die Struktur des Interviews sich an der Biographie des Kandidaten orientiert. Die Fragen können entweder strukturiert sein – d.h. es gibt einen Fragenkatalog, dem der Interviewer folgt. Häufig werden die Antworten der Kandidaten dann auch anhand eines fixen Bewertungsschemas eingeschätzt. Oder aber das Interview ist „halbstrukturiert„, d.h. die einzig fixe Struktur ist die Biographie des Kandidaten, die Fragen folgen seinem Erzählstrom.

Hier soll in erster Linie auf das halbstrukturierte Interview nach Prof. Sarges eingegangen werden. Dieses wird auch als „Biographische Eignungs-Interview” (B-E-I) bezeichnet.

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Das Biographische Eignungs-Interview (B-E-I) ist eine Methode der non-direktiven Interviewführung. Der Interviewer stellt offene Fragen, hört aufmerksam zu und fragt an den diagnostisch relevanten Stellen nach. Die Haltung des Interviewers ist von Wertschätzung und Interesse am Gegenüber geprägt.

Idealerweise gelingt es, die Redeanteile des Interviewers auf unter 10% zu halten und so eine Menge an Informationen vom und über den Kandidaten zu erhalten. Auf dieser Basis können dann die erfolgskritischen Kompetenzen valide eingeschätzt und Vorhersagen über das Verhalten des Bewerbers gemacht werden.

Inhaltsverzeichnis

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Biographisches Interview - Definition

Biographische Interviews sind eine Interviewtechnik, bei der die Lebensgeschichte des Interviewten den roten Faden des Interviews bildet. Biographische Interviews werden teilweise in der (soziologischen und historischen) Forschung eingesetzt sowie in der Beratung und vor allem in der Diagnostik, d.h. bei Einstellungsgesprächen und Interviews im Rahmen von Assessments und Appraisals.

Die Ziele eines biographischen Interviews können einerseits helfen die Lebensgeschichte und Erfahrungen des Kandidaten besser zu verstehen, um seine Eignung für eine bestimmte Position oder Aufgabe einzuschätzen. Und andererseits ermöglicht es dem Interviewer, die persönlichen und beruflichen Ziele des Kandidaten zu erfassen und herauszufinden, wie gut sie mit den Zielen des Unternehmens oder der Organisation in Einklang stehen.

Aufbau und Ablauf

Orientierung an der Lebensgeschichte des Kandidaten

Das Vorgehen beim Biographischen Eignungs-Interview (B-E-I) orientiert sich am Lebenslauf des Kandidaten – angefangen bei Kindheit und Jugend über Ausbildung/Studium hin zu den beruflichen Stationen. Natürlich wird auf die weiter zurückliegenden Aspekte im Leben des Kandidaten weniger intensiv eingegangen als auf die Stationen der letzten Jahre.
Dennoch: auch Kindheit und Jugend sind selbst für Menschen im höheren Lebensalter häufig eine prägende Phase, in der der Grundstein zu auch heute noch gültigen Werten und Grundsätzen gelegt wird.

Das Leben besteht aus Lebensphasen und Übergängen – beide bieten viel Stoff für diagnostisch relevante Informationen. In den Lebensphasen sind die Höhen und Tiefen, die prägenden Personen und Ereignisse wichtig. An den Übergängen wird viel über das Entscheidungsverhalten eines Menschen deutlich, seine Werte, seine Motive und Lebensziele.

Erzählströme produzieren

Der Interviewer stellt kurze, offene und weite Fragen, die dem Interviewten genügend Raum lassen, das zu erzählen, was für ihn persönlich und seine Prägungen bedeutsam war.
Erst wenn der Interviewte seine Schilderungen beendet hat, fragt der Interviewer nach – bei den Aussagen, an denen diagnostisch relevante Informationen verborgen sind.

Dazu ein Beispiel aus einem Interview:

Interviewer: Erzählen Sie doch bitte von Ihrem ersten Job – was waren Höhen und Tiefen?
Kandidat: Ach, das war eine tolle Zeit, tolle Kollegen, wir haben heute noch Kontakt. Anfangs hatten wir ein paar Schwierigkeiten, aber im Rückblick war das eine tolle Zeit, in der ich viel gelernt habe. Und ich werde heute noch zu den Weihnachtsfeiern eingeladen!

In diesem Beispiel gibt es einige Themen, bei denen der Interviewer nachfragen sollte:

  • „Was waren das denn für Schwierigkeiten am Anfang?“

  • „Was genau haben Sie im Rückblick gelernt?”

  • oder auch „Was würden denn die damaligen Kollegen Positives und Negatives über Sie sagen?“

Aus jeder Antworte ergeben sich häufig weitere Aspekte, an denen man nachfragen sollte – so lange, bis man die drei Seiten des „Handlungsdreiecks” (s.u.) hinreichend erkundet hat.
An welchen Stellen man nachfragen sollte: dafür gibt es keinen Algorithmus, man muss als Interviewer etwas seinem Gefühl folgen. Grundsätzlich sind alle emotional aufgeladenen Äußerungen des Interviewten ein Hinweis auf diagnostisch relevante Informationen.

Offene Fragen, keine Wertungen

Das „Zaubermittel”, um Erzählströme beim Interviewten zu erzeugen, sind offene Fragen, demonstriertes Interesse am Menschen und nicht-wertendes, non-direktives Zuhören. Mit Wertungen und Kommentaren (z.B.: „Das ist ja sehr gut, ein tolles Ergebnis!”) sollte man sich als Interviewer zurückhalten.

Handlungsdreieck erkunden

Nachfragen ist ein wichtiges Prinzip des B-E-I. Wichtig ist, dass man zu allen Erlebnissen, die der Kandidat schildert, drei Aspekte erkundet:

  1. Wie war die Ausgangslage (bei dem Projekt, der Aufgabe, dem Erfolg oder der Enttäuschung)?

  2. Was genau hat der Kandidat gemacht? (Hier sollte man Aussagen wie „wir haben dann…” unbedingt hinterfragen – Konkretisierung und Individualisierung sind wichtige Prinzipien des B-E-I.)

  3. Was war das Ergebnis?

Häufig wird in Interviews der Fehler gemacht nur eine oder zwei Aspekte zu hinterfragen – viele Interviewer fragen z.B. zum Thema Ausbildung oder Studium nur nach der Note (dem Ergebnis), ohne zu hinterfragen, wie die Ausgangssituation war und was der Interviewte getan hat, um die Note zu erreichen.

Das Handlungsdreieck im B-E-I ist eine Variante der STAR-Methode.

Minimierung der Gesprächsanteile des Interviewers

Wenn der Interviewer konsequent offene Fragen stellt, gezielt nachfragt und sich aller (Be-)Wertungen enthält, sollten die Redeanteile des Interviewers unter 10% liegen. Das muss auch so sein, denn in der Zeit, in der der Interviewer Fragen formuliert (oder gar kommentiert) erfährt man nichts über den Kandidaten. Da die Interviewzeit kostbar ist, sollte man sich bemühen, möglichst viele Informationen über den Kandidaten in der zur Verfügung stehenden Zeit zu bekommen.

Das erscheint gerade bei schweigsamen oder introvertierten Kandidaten schwierig zu sein. Hier ist eine wichtige Regel, dass der Interviewer Pausen aushalten muss und nicht voreilig zur Hilfe eilt, indem er Angebote macht – die dann häufig zu kurzen Antworten führen.

Gemeinsame Reflexion

Wie erwähnt sollte der Interviewer keine Bewertungen während des Interviews vornehmen. Die Rolle des Interviewten ist die des Historikers in eigener Sache (Berichten über die wichtigen Ereignisse der Lebensgeschichte) und des Selbst-Analytikers.

Wenn der Interviewte eine Situationen schildert, die der Interviewer nicht einordnen kann, fordert er den Interviewten auf, diese zu analysieren. Beispiele dafür:

  • Was sagt das über Ihre Motivation aus, dass Sie den Job schnell wieder gekündigt haben?

  • Was für Lehren haben Sie im Rückblick aus diesen Erfahrungen gezogen?

  • Welche Fähigkeit hat besonders dazu beigetragen, dass Ihre Arbeit so erfolgreich war?

  • Wie würden Sie Ihre Rolle innerhalb der Organisation beschreiben?

  • Welches Wissen, das Sie damals erworben haben, nützt Ihnen heute noch?

Auswertung des B-E-I

Das Ziel des B-E-I – wie auch das Ziel jedes Interviews – ist es, einen Überblick über die Fähigkeiten des Kandidaten zu bekommen und diese (häufig kompetenz-orientiert) anhand der Informationen aus dem Gespräch einzuschätzen. Dazu sollte sich der Interviewer idealerweise nicht nur auf seine Eindrücke verlassen, sondern auf ein detailliertes Gesprächsprotokoll. Um eine möglichst valide Einschätzung von der Person des Kandidaten zu erhalten, ist es sinnvoll, das Interview zu zweit zu führen (einer führt das Interview, der andere protokolliert).

Exkurs semi-strukturierte Interviews

Das B-E-I gehört zur Gruppe der halbstrukturierten Interviews, denn es gibt ja eine gewisse Struktur – den Lebenslauf des Kandidaten als roten Faden und die Fragetechnik.

Biographisches Interview - Vor- und Nachteile

Vorteil:

Der große Vorteil des B-E-I ist, dass man dem Kandidaten sehr nahe kommt und viele diagnostisch relevante Informationen erhält – bei weitem mehr als bei einem strukturierten Interview.

Nachteil:

Der Nachteil des B-E-I ist, dass bei diesem Verfahren die Qualität der diagnostisch gewonnenen Informationen stark von der Qualität des Interviews (sprich: den Fähigkeiten des Interviewers) abhängt.

Die Kunst des aufmerksamen Zuhörens, der nicht-direktiven Gesprächsführung und des empathischen Nachfragens beherrschen nicht alle Führungskräfte.

Was sind häufige Fragen im biographischen Interview?

Hier sind einige typische Fragen aus einem biographischen Interview:

Familienhintergrund

  • Was hat Sie zu dem gemacht, was Sie heute sind?

  • Welche Regeln und Leitsätze haben Sie übernommen?

Schule

  • Wie haben Sie die Schulzeit erlebt?

  • Welche Interessensschwerpunkte hatten Sie (auch außerhalb der Schule)?

  • Mit wem sind Sie gut, mit wem weniger gut ausgekommen und warum?

  • Wie würden Sie von Mitschülern/Lehrern beurteilt werden?

  • Wie zufrieden sind Sie mit Ihren schulischen Leistungen? Abschlussnote!

Studium/Berufsausbildung

  • Warum haben Sie gerade diesen Studiengang/Beruf gewählt?

  • Welche Erwartungen hatten Sie an die Ausbildung? Wie haben sich diese erfüllt?

  • Welche Highlights/Konflikte/Tiefpunkte gab es?

  • Was haben Sie Besonderes gelernt? Was hebt Sie von der Masse ab?

  • Wie zufrieden sind Sie mit Ihren Studien-/Berufsausbildungsergebnissen? Abschlussnote!

Beruf

  • Können Sie bitte Ihren Lebenslauf mit den wichtigsten Stationen zusammenfassen?

  • Was war in den letzten 3-5 Jahren für Sie der wichtigste persönliche/berufliche Entwicklungsschritt?

  • Wo hatten Sie in Ihren bisherigen beruflichen Tätigkeiten Erfolg?

  • Was würden Sie heute anders machen, wenn Sie Ihren beruflichen Werdegang noch einmal planen könnten?

  • Was haben Sie aus Ihren bisherigen Tätigkeiten gelernt?

  • Auf welche beruflichen Leistungen sind Sie besonders stolz?

  • Warum glauben Sie, in Ihrer Laufbahn erfolgreich zu sein?

  • Was sind Ihre Aufgaben bei Ihrem letzten Arbeitgeber gewesen?

  • Was hat Ihnen an Ihrem letzten Job nicht gefallen?

  • Welche konkreten Hauptaufgaben und Verantwortungsbereiche haben Sie in Ihrer derzeitigen Tätigkeit? Was machen Sie besonders gern? Was nicht und warum?

  • Wo sehen Sie noch Entwicklungsbereiche zur Ausübung Ihrer neuen Tätigkeit, wie würden Sie diese angehen?

  • An welchen Fortbildungsmaßnahmen haben Sie bislang teilgenommen?

Fazit

Gerade für die Einschätzung von Führungskräften ist das Biographische Eignungs-Interview eine wertvolle diagnostische Methode, da sie nicht sich nicht nur an Kompetenzen orientiert, sondern auch an den für Führungskräfte wichtigen Themen „Motivation” und ”Werte”. Die erfolgreiche Umsetzung des Interviewkonzepts setzt die Fähigkeit zum empathischen Zuhören und ein Gespür für diagnostisch relevante Inhalte voraus. Beides kann im Rahmen von Interviewtrainings erlernt werden.

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