Management Derailment
Management Derailment („Entgleisen” von Managern) beschreibt das Phänomen, dass Führungskräfte, die bisher erfolgreich waren, plötzlich dysfunktionales Verhalten aufweisen, das einen negativen Einfluss auf ihre Mitarbeiter, die Führung und das Unternehmen insgesamt hat.
Inhaltsverzeichnis
Sie haben nicht viel Zeit zu lesen? Dann lesen Sie diese Zusammenfassung:
Die Ursachen von Derailment sind vielfältig, teils liegen sie in der Person, teilweise im Umfeld oder dem Zusammenwirken von Umfeld und Person.
Die wichtigsten Ursachen für Management Derailment sind folgende:
Fehlende Selbstreflexion
Fehlende emotionale Intelligenz
Zu geringe Anpassungsfähigkeit an ein sich veränderndes Umfeld
Schlechte kommunikative Fähigkeiten
Generelle Defizite im Führungsverhalten
Fehlende Mechanismen zur Bewältigung von Stress
Fehlende strategische Fähigkeiten
Übermäßig risikofreudiges oder risikoscheues Treffen von Entscheidungen
Maßnahmen, um Management Derailment zu verhindern sind:
Psychologisch fundierte Auswahl (Management Diagnostik) vor Einstellung und Beförderung von Managern
Förderung der Selbstreflexion von Führungskräften durch formales und informelles Feedback
Förderung der Kommunikations- und Führungsfähigkeit von Managern
Angebote zur Stützung der psychischen Gesundheit, insbesondere der Stressbewältigung
Management Derailment Definition
„Derailment” ist ein bildhafter Begriff, mit dem im Englischen das Versagen von Managern bezeichnet wird: Manager befinden sich lange Zeit ihrer Karriere „auf Spur”, d.h. sie sind erfolgreich.
An einem bestimmten Punkt ihrer Karriere weisen sie dann ein Verhalten auf, das die Stimmung im Team, die Motivation der Mitarbeiter und sogar die Leistung der gesamten Organisation gefährdet, sie „entgleisen” – bildlich gesprochen.
Ein populärer Forschungszweig beschäftigt sich mit den Persönlichkeitseigenschaften, die zu dramatischen Konsequenzen in der Führung und dem Verhalten von Managern führen: der sogenannten „Dunklen Triade” aus Machiavellismus (das politische Agieren zur Erhöhung der eigenen Macht), Psychopathie (skrupelloses Verhalten ohne Angst vor Bestrafung, Empathielosigkeit gegenüber Mitmenschen) und Narzissmus (Selbstüberhöhung und Egoismus).
Management Derailment Beispiele
Die Wirtschaftsgeschichte ist voll mit Beispielen von spektakulärem Managerversagen, sei es die Wirecard-Affäre, der Enron Skandal, der Fall der Investment Bank Lehman oder die zahlreichen Affären um Thomas Middelhoff.
Gemeinsam ist all diesen Beispielen, dass das Fehlverhalten einzelner Personen im Top Management dramatische Folgen für Unternehmen (einige der oben genannten Unternehmen existieren heute nicht mehr) und die Gesellschaft insgesamt (Verlust von Arbeitsplätzen, volkswirtschaftlicher Schaden) hat.
Auf der anderen Seite gibt es auch weniger spektakuläres Manager Derailment, das für die Betroffenen aber nicht weniger schmerzhaft ist: Vorgesetzte, die mit ihrer Rolle überfordert sind, Mitarbeiter gegeneinander ausspielen, die sinnlose oder keine Entscheidungen treffen, falsche Prioritäten setzen, sich abkapseln oder krank werden.
Warum entgleisen Führungskräfte?
Person und/oder Umfeld als Ursache?
Vereinfacht gibt es drei Kategorien der Ursachen von Management Derailment.
Gründe in der Person des Managers, die tief in der Person verankert sind. D.h. fehlende Kompetenzen (z.B. Kommunikations- oder Führungsfähigkeit), dysfunktionale Eigenschaften der Persönlichkeit (z.B. geringe Gewissenhaftigkeit und Verlässlichkeit, extreme Introvertiertheit, fehlende Empathie bis hin zu Narzissmus oder psychopathischen Persönlichkeitszügen) oder fehlende Motivation („innere Kündigung”). Im Extrem weisen manche Manager nahezu krankhafte, pathologische Eigenschaften auf, z.B. die schon erwähnte „Dunkle Triade” aus Machiavellismus, Psychopathie und Narzissmus.
Eigenschaften, die zu Beginn der Karriere hilfreich waren, die aber mit steigender Verantwortung dysfunktional werden können, wenn die Führungskraft nicht in der Lage ist, sich anzupassen. Beispiel dafür ist der Spezialist, der sich um alle Details kümmert und damit erfolgreich ist; in einer Führungsposition muss er aber lernen, zu delegieren und sich nicht mehr um alle Details zu kümmern. Wenn er das nicht lernt, wird er als Manager versagen.
Derailment Risiken, die sich aus der Interaktion von Person und Umfeld ergeben. Ein Beispiel: Ordnung und Struktur herzustellen ist für Manager fast immer Teil ihrer Aufgabe. In einem sehr agilen Umfeld, in dem es hohe Komplexität und Unsicherheit gibt, ist die Fähigkeit zur Strukturierung wenig hilfreich, wenn nicht gleichzeitig die Fähigkeit zum Agieren in einem dynamischen, teilweise chaotischen Umfeld vorhanden ist. Dieses „Sowohl-als-auch” bezeichnet man auch als Ambidextrie bei Managern.
Ursachen liegen nicht nur in der Person
Die Ursachen für – auch spektakuläres – „Entgleisen” von Managern liegen aber nie in der Person des Managers allein, auch nicht beim Versagen von Top Managern. Denn: kaum eine Führungskraft hat sich selbst in diese Position befördert, es gab immer jemanden, der sie in diese Position gebracht hat.
Zudem ist jeder Manager in ein System von Kontroll- und Korrekturmechanismen eingebunden, jede Führungskraft hat einen Vorgesetzten und Vorstände haben einen Aufsichtsrat. Gerade bei den spektakulären Beispielen von Managerversagen haben immer auch die Aufsichtsgremien versagt.
Sowohl die Personen und Institutionen im Unternehmen (Aufsichtsrat) als auch die des Staates (die deutsche Finanzaufsicht ging z.B. trotz deutlicher Hinweise der Financial Times nicht gegen Wirecard vor, sondern gegen die Zeitung, die die Hinweise gegeben hatte).
Auswirkungen von Management Derailment
Der gescheiterte Manager
Die Auswirkungen von Derailment in der Praxis können dramatisch sein. Wenn Manager scheitern, ist das zuerst für den betroffenen Manager selbst ein einschneidendes Erlebnis. Häufig ist die Konsequenz die Entlassung und eine „Delle im Lebenslauf”, im besten Fall tritt ein überforderter Manager von sich aus zurück, z.B. auf eine Funktion, in der er seine Stärken besser nutzen kann.
Das Team
Eine überforderte Führungskraft, die an ihre Grenzen gekommen ist, kann den Mitarbeitern das Leben zur Hölle machen. Manche Führungskräfte reagieren auf ihr Managementversagen mit Rückzug (Verstecken im Büro), manche mit emotionalen Ausbrüchen und diktatorischem Verhalten. Notwendige Entscheidungen werden entweder gar nicht oder willkürlich getroffen.
Das alles hat auf die Mitarbeiter natürlich eine demotivierende und verunsichernde Wirkung. Zwei der wichtigsten Voraussetzungen für gutes Führungsverhalten sind Fairness und Verlässlichkeit der Führungskraft.
Die Konsequenzen eines überforderten Vorgesetzten für die Mitarbeiter sind eine vergiftete Atmosphäre im Team, nachlassende Arbeitsmoral und -leistung sowie zunehmende Fluktuation.
Das Unternehmen
Je höher die Position eines überforderten Managers ist, desto dramatischer können die Auswirkungen auf das Unternehmen sein. Wenn Top-Manager versagen, dann kann das das Ende des Unternehmens bedeuten. Aber auch im Middle-Management stellen überforderte Führungskräfte große Risiken für das Unternehmen dar, direkt durch den fehlenden Beitrag zum Unternehmensergebnis oder indirekt durch Reputationsverlust nach außen und nach innen („ein fauler Apfel kann einen ganzen Sack Äpfel verderben”).
Maßnahme zur Vorbeugung und Überwindung von Derailment
Auswahl
Die wichtigste Maßnahme zur Verhinderung von Derailment ist, vor der Einstellung oder Beförderung eine psychologisch fundierte Analyse der betreffenden Person vorzunehmen.
In einem Einzel-Assessment, Management Audit oder Management Appraisal wird ein Profil der Persönlichkeit, der Kompetenzen und der damit verbundenen Risiken für die neue Position erstellt.
Unten ein kurzer Ausschnitt aus dem Ergebnisbericht eines Einzel Assessments für eine Betriebsleitung:
Onboarding
Ein Assessment vor der Einstellung kann offensichtliche Fehlbesetzungen verhindern. Häufig (wie in dem obigen Beispiel) ist das Ergebnis kein klares „Ja” oder „Nein”, sondern ein „Ja, aber…”.
Das heißt, der Kandidat ist grundsätzlich geeignet, weist aber noch einige Entwicklungsfelder auf. Oftmals werden diese Hinweise ignoriert, nach dem Prinzip, „es wird schon gut gehen”. Dabei ist es wichtig, die identifizierten Entwicklungsfelder ernst zu nehmen. Das heißt, Personalentwicklung und Vorgesetzter sollten den Kandidaten in den ersten Monaten begleiten, z.B. durch regelmäßiges Coaching.
Mitunter ist das Onboarding auch eine Aufgabe für die Organisationsberatung oder Organisationsentwicklung um die Organisation an das Kompetenzprofil eines Managers anzupassen. Wider die reine Lehre muss man mitunter die Struktur an den Menschen ausrichten und nicht umgekehrt.
Häufig werden auch externe psychologische Berater für das Onboarding eingesetzt, die die persönliche Weiterentwicklung auf Basis des Assessments unterstützen.
Kontrolle ausüben und Feedback einholen
Im Rückblick lässt sich feststellen, dass fast jedes Managerversagen bei funktionierenden Kontrollmechanismen verhinderbar gewesen wäre.
Auch in Organisationen, die stark auf Eigenverantwortung setzen, ist es die Verantwortung von Top-Management und Aufsichtsrat, ein Ohr an der Organisation zu haben und Fehlentwicklungen rechtzeitig zu bemerken.
Formales (z.B. 360°-Feedback) und informelles (Gespräch) Feedback über Führungskräfte einzuholen ist ein wichtiges Instrument, um Manager, die Derailment Risks aufweisen, frühzeitig zu identifizieren.
Feedback geben
Je höher man in der Hierarchie einer Organisation aufsteigt, desto weniger „echtes” Feedback erhält man als Manager. Rückmeldungen, die man erhält, sind häufig sehr subjektiv oder von politischen Interessen geprägt.
Gerade im Top-Management ist eines der größten Risiken, dass man geradezu abgeschnitten ist von Feedback zur eigenen Person, insbesondere von kritischem Feedback.
Deshalb sollte man Führungskräften regelmäßig Feedback geben – und zwar sowohl von Mitarbeitern als auch von Kollegen und Vorgesetzten.
Mentoring-Programme
Da Top-Manager wenig Feedback erhalten, installieren manche Unternehmen Mentoring Programme für das (Top-) Management – das heißt, dass Manager einen erfahrenen Manager (zumeist nicht einer der direkten Vorgesetzten) als Mentor erhalten, mit dem sie sich in einer geschützten und vertraulichen Atmosphäre regelmäßig austauschen können.
Offene Feedback-Kultur
Eine offene Feedback-Kultur ist das beste Gegenmittel gegen Managerversagen. Wenn es in einer Organisation selbstverständlich ist, kritisches Verhalten zeitnah, offen und wertschätzend anzusprechen, kann manches Fehlverhalten von Managern rechtzeitig korrigiert werden.
Fazit
Wenn Manager, die in der Vergangenheit eine geradlinige Karriereentwicklung aufweisen konnten, plötzlich dysfunktionales Verhalten zeigen, nennt man das „Management Derailment” oder „Managerversagen”. Die Konsequenzen für Mitarbeiter und Unternehmen können dramatisch sein.
Die Ursachen für Managerversagen liegen teils in der Person (z.B. Narzissmus, fehlende Empathie oder Kommunikationsfähigkeit), teils im Umfeld (geänderte Anforderungen), meist aber im Zusammenspiel aus Person und Situation.
Verhindern kann man Managerversagen durch psychologische Management Assessments bei der Auswahl, Installation von Kontroll- und Feedbackprozessen sowie eine offene Feedbackkultur im Unternehmen.